Die schöne neue Stadt
Wir sind gerade zurück von einer längeren Drehreise nach London – einer Stadt, in der die Verleugnung der Corona-Gefahr Regierungspolitik ist, wo es seit 2 Monaten nicht mehr regnet und ein Hitzerekord von weit über 40 Grad Celsius gemessen wurde.
London
Bis in die 80er Jahre des vergangenen Jahrtausends war London eine der lebendigsten und spannendsten Städte Europas. Das hatte wesentlich damit zu tun, dass in den Jahren nach dem 2.Weltkrieg in einem beispiellosen Bauprogramm städtische Wohnungen mitten im Zentrum, aber auch in allen anderen wohlhabenden Vierteln errichtet wurden. Ende der 70er Jahre wohnten so über 40% der Engländer*innen in attraktiven Kommunalwohnungen mitten in der Stadt. Die Viertel waren sehr sozial durchmischt; Wohnungsnot noch nicht das Thema. Diese Mischung hat sich teilweise bis heute erhalten. Direkt hinter dem touristischen Zentrum an der Tower-Bridge, wo eine Wohnung mehr als 20.000 Pfund Miete im Monat kostet, beginnt ein Viertel mit Kommunalsiedlungen.
Thatchers neoliberale Wende
Doch in den 80er Jahren drückte Margret Thatcher dem Land ihren neoliberalen Stempel auf. Mit dem „Right to buy“ erhielten alle Mieter*innen städtischer Wohnungen das Recht, ihre Wohnung günstig zu kaufen. Gleichzeitig wurde den Kommunen die Mittel zum Ausbau und auch zum Unterhalt der bestehenden kommunalen Wohnungen gestrichen. Das United Kingdom sollte ein Land der Haus- und Wohnungsbesitzer werden. Das änderte sich auch nicht mit den folgenden Labour-Regierungen. Das Kaufrecht wurde nur noch durch die sog. „Share Deals“ ergänzt: Wer kauft, braucht nur 30-40% der Kaufsumme aufbringen. Der Rest ist ein Hypothek, die als statt Miete bedient werden muß. Da die Share Deal-Käufer alle Kosten für Hausreparaturen tragen müssen, schaffen es nur wenige, die Hypothek abzutragen und wirklich Besitzer der Wohnung zu werden. Zwar gibt es heute noch viele kommunale Viertel. Aber dort wohnen nun nur noch wenige Sozialmieter*innen.
Abriss und Neubau
Hinzu kommt, dass seit ca. 30 Jahren viele ehemalige kommunale Viertel abgerissen und unter maßgeblicher Beteiligung privater Bauentwickungskonzerne wesentlich verdichtet neu gebaut werden. Den Bewohnern der kommunalen Wohnungen wird zwar stets versprochen, dass sie in den neuerrichteten später wieder unterkommen können. Doch da die privaten Baukonzerne mit Hinweis auf mangelnde Profitabilität den Anteil an Sozialwohnungen auf verschwindende einstellige Prozente drücken, ist die annähernd komplette Verdrängung der einstigen Bewohner*innen an die Stadtränder Londons die bittere Realität. Auch die, die einst ihre kommunale Wohnung ganz oder als „Share Deal“ gekauft hatten, erleiden ein ähnliches Schicksal, denn die Entschädigung reich nie aus, um eine neue Wohnung im eigenen Viertel zu erwerben. Auf Grund ihrer zentralen Lage sind die ehemaligen kommunalen Siedlungen heute Filetgrundstücke. Und nicht nur die Häuser sind nun in pivater Konzernhand. Wie z.B. in Heygate bei Elefant&Castle sind auch Plätze und Strassen privat. Statt städtischer Polizei regiert hier die Private Security. Betteln, Demonstrieren oder Filmen, alles verboten. Das öffentliche Leben unter privater Kontrolle.
Das schöne, neue London
Thatchers Vision von der Nation der Eigentümer ist aber gründlich gescheitert. Gerade junge Normalverdiener*innen wie z.B. Lehrer*innen könnten heute mit ihrem Einkommen keine Wohnung mehr kaufen. Mehr als 55% der Londoner*innen wohnen mittlerweile zur Miete. Und meist zu horrenden Mieten bei privaten Hauseigentümern, denen sie schutzlos ausgeliefert sind. Denn es gibt praktisch keine Mieterschutzrechte. Ihnen kann jederzeit gekündigt werden. Dann müssen sie in kürzester Zeit die Wohnung räumen
So extrem ist das in Kontinentaleuropa meist nicht. Doch die Tendenz ist in allen Städten dieselbe.
Normalverdiener*innen, die Nachwachsenden und die Alten können mit ihrem Einkommen nicht mehr zentrumsnah oder in ihrem angestammten Viertel eine neue Wohnung finden.