2.3 / London

Damit hatte niemand gerechnet. Mitten in der größten Rezession steigen die Preise für Immobilien im Corona-geplagten Großbritannien auf ein Rekordhoch.

2.3.1 / London / Rendite statt Wohnraum

 Nach 1945 investierte Großbritannien enorme Summen in den Wohnungsbau. Noch Anfang der Siebziger Jahre lebte die Hälfte der Briten in Mietwohnungen. Die Mieten waren erschwinglich, es gab einen umfassenden Mieterschutz. 1988 endete das mit der Regierung Thatcher. Sozialwohnungen wurden privatisiert, Mietpreiskontrollen fielen weg, befristete Mietverträge auf 6 oder 12 Monate erlaubt und damit die Regel. Nach Vertragsende können die Mieter grundlos auf die Straße gesetzt oder ihre Mieten beliebig erhöht werden.

In der Londoner Innenstadt stehen ganze Häuserzüge leer. Sie dienen ausländischen Millionären oder weltweit operierenden Investmentfonds als Spekulationsobjekt. Konzentriert auf Nobelquartiere wie Kensington bewirken sie aber, dass die Preise im gesamten Stadtgebiet steigen. Laut einer Umfrage fühlt sich mehr als die Hälfte der Mieter nicht mehr sicher vor Wohnungsräumungen.

2.3.2 / London / Große Vertreibung kleiner Leute

Die Vertreibung armer Familien schreitet voran. Die Verwaltung des Londoner Stadtteils Camden plant die Umsiedlung 761 bedürftiger Haushalte; Brent prüft den Kauf billiger Sozialwohnungen in den englischen Midlands für Londoner Familien. Westminster und Croydon überlegen sich Ähnliches. «Der Markt regiert alles. Er bestimmt, wo die Menschen leben.» sagt Rueben Taylor, Mitglied der Mieter*innen-Initiative Squash. Und so lebten immer weniger geringverdienende Menschen im Zentrum.

Gutverdienende Leute müssen sich zunehmend in sogenannten Zwangswohngemeinschaften arrangieren, wie Rosie Butcher.  Ein verlassenes Industriegebiet im Osten Londons. Kalte Gänge mit zahllosen blaugestrichenen Türen. Aus der dritten von links kommt Rosie mit einem Schlafsack heraus. Nicht einmal für den hat sie in ihrer Wohnung Platz. Ihre Möbel und Habseligkeiten stehen in einem extra angemieteten Storage, weil der Ort, den sie Wohnung nennt, zu winzig ist. 17m² + Küchenbalkon – zusammen mit ihrem Freund. Im zweiten Zimmer wohnt ein anderes Ehepaar. Kein Einzelfall. Denn die Mietpreise steigen achtmal so schnell wie die Gehälter. Auch mit ihrer gutbezahlten Stelle an der London School of Economics könnte sie die Miete für die Zweizimmerwohnung von umgerechnet fast 2.700 Euro im Monat natürlich nicht stemmen.

2.3.3 / London / Hackney

Der Londoner Stadtteil Hackney war bis vor kurzem ein typisches Arbeiterviertel. Heute gibt es Antiquitätenläden und Restaurants mit biologischen Gourmet-Burger. Vor Makleragenturen hängt ein Schild: “Keine Sozialhilfeempfänger“. Rosie Butcher sagt, „Nur reiche Ausländer können sich die Mieten in Hackney noch leisten“. Sie will aber unbedingt bleiben. Denn hier leben ihre Freunde, hier kennt sie ihren Abgeordneten, und hier engagiert sie sich. Sie arbeitet als Freiwillige im Mieterverein “Shelter”. Dort lernt sie Susan kennen. Susan ist gerade 50 Jahre alt geworden und lebt mit ihrem Sohn seit vier Monaten in einer winzigen Wohnung in der Landstreet. Sie hat stets pünktlich die Miete bezahlt und nur die schimmlige Schlafzimmerwand moniert. Daraufhin kündigte ihnen der Vermieter wegen Renovierung. Sie könne später ja wieder einziehen, aber für die doppelte Miete. Artikel 21 der englischen Wohnungsverordnung erlaubt Vermietern „unverschuldete Zwangsräumungen“.

2.3.4 / London /

Kriminalisierung von Hausbesetzungen

Der Protest gegen diese Situation hat sich noch bis 2012 in zahllosen Hausbesetzungen entladen. Seitdem aber stehen darauf 6 Monate Haft oder 15.000 Pfund Strafe. Die Regierung meint damit das Recht auf Eigentum zu schützen. Erreicht hat sie aber, dass die heute ungefähr 70. 000 leer stehenden Häuser in London schon seit Jahren ungenutzt bleiben. Gleichzeitig hat sich die Zahl der Unbehausten, besonders junger Obdachloser verdoppelt. Simon fährt mit Maske im Nachtbus rum, weil er nirgendwo einen Schlafplatz findet. Die Tickets bezahlt die Hilfsorganisation New Horizon Youth Center. Sie gibt auch Schlafsäcke aus, bietet die Gelegenheit zum Duschen und ein warmes Frühstück.